Dienstag, 19. Januar 2010

Eine andere Welt im reichen Europa.

Was werde ich gleich sehen?
Wie werde ich damit umgehen?
Kann ich damit überhaupt umgehen?
Wird alles glatt laufen?
Wie werden die Roma reagieren?
Werden sie nett sein?
Wie werden die Häuser aussehen?
Werde ich von der Armut geschockt sein?
Kann ich so viel Elend ertragen?
Ist dort überhaupt Elend?

Viele solche Fragen und ähnliche schwirrten am 6. Januar durch meinen Kopf. Es sollte der Tag sein, an dem ich zum ersten Mal ins Romska Osada von Letanovce gehen werde.
Ich werde dort hingehen, wo Menschen ohne einen Wasser und Stromanschluss leben. Wo es keine richtigen Straßen sondern Schlammwege gibt.

Ich hatte keine Ahnung was mich erwartet. In meinem Kopf schwirrten nur viele verschiede Vorstellungen umher.
Der Grund warum ich das Romska Osada sehen werde, war das Sternensingen der 7C.

Die 7C ist eine reine Romaklasse. Genauer gesagt ist es eine Spezialklasse, in der zehn Zigeunerkinder sitzen die mentale Lernprobleme haben. Das heißt sie brauchen viel länger um Sachverhalte zu verstehen oder sich Sachen zu merken.
Die Lehrerin dieser Klasse ist sehr engagiert und geht jedes Jahr nach der Weihnachtszeit ins Romadorf um mit ihren Kindern zu singen und die Weihnachtsbotschaft zu verbreiten.
Dieses Jahr durfte ich dabei sein.
Das heißt ich werde einen einzigartigen Einblick in das Romaleben bekommen, denn ich werde auch in die Häuser gehen und das Dorf nicht nur von außen sehen, sondern von ganz nah.
Also praktisch Mittendrin, statt nur dabei.

14Uhr ging es los. Wir fuhren zusammen mit dem Hausmeister einer anderen Lehrerin meiner Schule und Andrea (das ist die Klassenlehrerin der 7C) Richtung Osada.
Die Fahrt stimmte mich etwas ängstlich, denn beide Lehrerinnen begannen zu beten. Ich hab nicht verstanden was sie beteten, aber ich geh davon aus, dass sie darum baten gesund und munter wieder zurück zu kommen.

Dann war es endlich soweit. Am Ende der Straße konnte ich die Holzhäuser erkennen. Der erste Gedanke, der mir in den Kopf stieg war ein riesiger Armeisenhaufen. Man sah überall kleine Männchen herumlaufen. Von außen sah es wie ein großes Durcheinander aus, aber an sich hatte jeder seine Aufgabe und sein Ziel. Eine Menschenschlange ging in den Wald um sich illegal Brennholz aus dem Naturschutzgebiet zu holen, die andere Menschenschlange wanderte zum einzigen Wasserbrunnen der Siedlung.

Als wir anhielten stürmten uns schon jede Menge Kinder entgegen, die schauen wollten wer sie da besuchen kommt. Viele der Kinder kannten mich aus der Schule und begrüßten auch mich auch mich sehr freudig.Man merkte sofort, dass wir eine willkommene Abwechslung für die Kinder waren und spätestens nach fünf Minuten hatte sich die Nachricht, dass Besucher da sind, auch bis ins letzte Haus herumgesprochen. Auffällig war aber, dass nur die Kinder kamen. Die Männer standen skeptisch vor ihren Holzhütten und begutachteten das ganze aus der Entfernung. Von den Frauen war überhaupt nichts zu sehen.

Bei der Ankunft im Osada stürmen die Kinder auf uns zu.



Die einzige Wasserstelle im Osada, was ungefähr von 500 Menschen bewohnt wird. Es gab mal eine Wasserpumpe, diese wurde allerdings verkauft, weil die aus Eisen war. Jetzt müssen die Menschen wieder per Hand ihr Wasser aus dem Brunnen schöpfen. In ihren Wohnungen gibt es allerdings keine Möglichkeiten sich zu waschen. Im Sommer waschen sich die Roma im nahgelegenden Fluss im Winter gibt es nur eine Katzenwäsche. Dem entsprechend breiten sich Krankheiten rasend schnell aus.

So machten wir uns auf den Weg zu den Familien.
Nach 10 Minuten waren dann die Kinder als Joseph, Maria, Engel und Hirten verkleidet und Sternenzug konnte beginnen. Wir traten ins erste Haus ein und sangen Weihnachtslieder und verkündeten die Botschaft, dass Jesus der Retter geboren ist. Man konnte den Stolz der Eltern deutlich in ihren Augen erkennen. Sie freuten sich über den Besuch und genossen die Abwechslung vom sonst so tristen Alltag in der Siedlung.Nach ungefähr 12 Häusern waren wir in jedem Elternhaus der Kinder um zu singen und damit am Ende unserer Runde.


fast jede Frau hatte ein Baby auf dem Arm. Die Bevölkerungszahl wächst gerade in den Osadas explusionsartig an.

Auf deinen Seiten sieht man die Wand des Raumes. Ich steh ebenfalls am Ende des Raums.
Die Hütten der Zigeuner aus dem Romska Osada von Letanovce lassen sich in enigen Worten beschreiben.
Man merkte sofort wer etwas mehr Geld hat und wer gar nicht.
Ich hab Hütten gesehen, die aus einem Raum bestanden in dem sich das komplette Leben abspielt.
In einer Ecke die Kochstelle, meist ein alter Ofen mit Kochplatte der mit Holz angezündet wird. Er ist Heizung und Kochstätte zu gleich.
Dann in der anderen Ecke ein kleiner Schrank in dem die Habseeligkeiten der Familie aufbewahrt werden und zu guter Letzt noch ein Bett auf dem unzählige Matratzen lagen.
Man kann es sich nur schwer Vorstellen, dass in so einem kleinen Raum ungefähr 8- 15 Menschen leben.

Dann gab es die Hütten die etwas größer waren und aus zwei Räumen bestanden. Ein Raum für das alltägliche Leben, der andere Raum zum schlafen. In den Hütten gab es allgemein weder elektrische Geräte noch andere Luxusgeräte, die für uns als vollkommen normal erachtet werden.
Es gab keinen Kühlschrank oder Fernseher. Keine Steckdosen in denen man ein Handy aufladen könnte. Noch nicht einmal Lampen hingen an der Decke, weil es wie schon gesagt keinen Stromanschluss im kompletten Osada gibt.

Dann habe ich in zwei Hütten doch noch ein kleines Luxusgut entdeckt. Auf einem Schrank stand ein winziger schwarz-weiß Fernseher, der an einer Autobatterie angeschlossen war. Man konnte nicht wirklich ein Bild erkennen aber immerhin etwas.
Allerdings muss man auch sagen, dass es in der Romakultur scheinbar andere Prioritäten gibt. Vor fast jeder Hütte, wo klein sie auch war stand ein großes Auto. Meistens war es ein Skoda, oft war es VW. Sehr oft hatten diese Autos ein englisches Nummerschild.
Regelmäßig gehen entweder nur die Männer oder die ganze Familie nach England um dort auf einer Seite Billigarbeit zu leisten oder das Sozialsystem auszunutzen. Das dort verdiente Geld wird jedoch nicht dazu genutzt aus dem ewigen Kreis der Armut zu entfliehen sondern wird in diese dicken Autos gesteckt und vor allem in Zigaretten und Alkohol investiert.



Besonders einprägend war für mich auch das Bild der jungen Mädchen, die fast immer jünger als ich waren und schon ihr erstes Kind auf dem Arm hielten. Für Romafrauen, ist es das normalste der Welt mit 14 Jahren verheiratet zu werden und kurz darauf das erste Kind zu gebären. So wundert es auch nicht, dass jede Romafrau im Durchschnitt um die 8 Kinder gebärt. So schließt sich für mich wieder der Kreis und ein entkommen ist unheimlich schwer.
Die jungen Mütter haben keinerlei Chance um aus ihrem Leben auszubrechen, wer es doch wagt wird von der Familie und dem ganzen Dorf verstoßen.

Mich persönlich hat es sehr nachdenklich gestimmt. Mitten im Herzen Europas, in einem Staat der EU leben Menschen ohne Strom und Wasseranschluss. Nein, das gibt es nicht nur in Südostasien oder in Afrika, dass gibt es auch in unserer unmittelbaren Nähe. Die Analphabetenrate liegt bei von mir geschätzten 90%. Alkohol und Zigaretten sind die Konsumgüter Nummer 1. Häusliche Gewalt ist keine Seltenheit und steht eher auf der Tagesordnung. Wie man diese Situation lösen kann weiß ich nicht. Das Osada in Letanovce ist nur ein Beispiel. Roma gibt es in ganz Südosteuropa.

Mirco

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